Samstag, 7. Dezember 2024

Ein Jahrhundert vor Benz - Nicholas Cugnot und die Erfindung des Automobils -

 

Eine andere Welt

Schließen Sie für einen Moment die Augen und stellen Sie sich eine Welt vor, die völlig anders ist als jene Welt, in der Sie sich gerade ganz real aufhalten. Alles, die Art, wie die Gesellschaft organisiert ist, die vorhandene Technik, ja sogar die elementarsten Maßeinheiten der Wissenschaft, nichts ist so, wie Sie es gewohnt sind.

Diese Welt, in die unsere kleine Zeitreise führt, ist das vorrevolutionäre Frankreich. Ludwig XV. herrscht als absoluter Monarch über das Land. Im Rückblick der Geschichte mögen sich zwar schon die ersten Anzeichen der bevorstehenden Revolution abzeichnen, doch für die meisten Menschen des Jahres 1769 ist die Welt so wie sie schon immer war und vermutlich noch für lange Zeit bleiben wird. Dabei wird an einem geheimen Ort - wohlbehütet von den Soldaten des Ancien Régime - eine Revolution vorbereitet, die in ihren Auswirkungen die politischen und gesellschaftlichen Umbrüche, die Frankreich in wenigen Jahren erschüttern werden, noch in ihren Schatten stellt. Um diese Revolution soll es hier gehen, doch um diese Geschichte zu erzählen, müssen wir noch einmal einige Jahre weiter in die Vergangenheit zurückspringen.

 

 

Genese einer Idee

Im Jahr 1764 erhielt ein Offizier der französischen Artillerie den Befehl, sich bei seinem Vorgesetzten zu melden. Der Mann, dessen Name Nicholas Joseph Cugnot war, wird wohl nur eine routinemäßige Besprechung erwartet haben, als er das Staabsgebäude betrat. Er sollte sich damit gewaltig geirrt haben. Denn General Jean-Baptiste Vaquette de Gribeauval erteilte ihm einen Auftrag, mit dem er nicht gerechnet haben dürfte. Er sollte unter strengster Geheimhaltung einen dampfbetriebenen, mechanischen Transportwagen für schwere Artilleriegeschütze entwickeln. Insbesondere, um Belagerungsgeschütze zu bewegen. Denn die französische Armee hatte erfahren, dass in der Schweiz entsprechende Experimente angestellt wurden. Zu jenem Zeitpunkt zwar noch ohne Erfolg, aber die Sache war natürlich trotzdem interessant.

Cugnot war nun ausgewählt worden, den Schweizern zuvorzukommen. Grund für diese Wahl war hauptsächlich, dass Cugnot bereits Jahre zuvor durch Entwicklungsarbeiten an einem neuen Gewehrtyp aufgefallen war und zudem bereits offen über die Idee gesprochen hatte, eine der immer populärer werdenden Dampfmaschinen in einen Wagen zu bauen und dieses Fahrzeug für militärische Zwecke einzusetzen.

In den folgenden Jahren arbeitete Cugnot konzentriert an der Entwicklung einer derartigen Maschine. Nach mehreren Funktionsmodellen wurde im Jahr 1769 ein Prototyp in Paris präsentiert und am 22. April des Folgejahres zum ersten Mal auf einer längeren Strecke gefahren. Die knapp 10 Kilometer lange Strecke vom Arsenal in Paris zum Schloss von Vincennes konnte mit dem Fardier à Vapeur (franz. für Dampfkarren) in etwa drei Stunden zurückgelegt werden.

Nachwirkung

Es ist wieder der moderne Blick in den Rückspiegel der Geschichte, der heute den Schluss zulässt, dass diese Demonstrationsfahrt den Beginn einer Revolution hätte bedeuten können. Doch es kam nicht dazu. Politische Umstände und wohl auch Unverständnis der Verantwortlichen führten dazu, dass die Armee das Projekt fallen ließ. Der Fardier wurde im Arsenal eingelagert und Cugnot zum Dank mit einer Pension bedacht.

Cugnot floh 1789 vor der Französischen Revolution nach Brüssel, bis ihn Napoleon Bonaparte einlud, nach Paris zurückzukehren. Dort verstarb er im Jahre 1804 im Alter von 79 Jahren.

Ungeklärt bleibt, ob Cugnot jemals das Musée des Arts et Métiers besucht hat. Im Museum des Instituts für Kunst und Wissenschaft ist der Fardier seit dem Jahr 1800 ausgestellt. Bis heute kann er dort besichtigt werden, und es existiert weltweit eine Reihe von funktionsfähigen Nachbauten. Das Originalfahrzeug im Museum wurde zur Inspirationsquelle für zahlreiche andere Erfinder. Unter anderem auch für den jungen Étienne Lenoir, der zu einem der Väter der Automobilentwicklung werden sollte.

Eine unbeweisbare und höchstwahrscheinlich unwahre Legende ist hingegen, dass Cugnot bei der Demonstrationsfahrt im Jahr 1770 gegen die Stadtmauer von Paris gefahren sei und darum nicht nur das Automobil an sich, sondern auch den Autounfall erfunden habe. Es existieren keine zeitgenössischen Quellen für diese Geschichte, darum ist anzunehmen, dass sie später erfunden wurde.

Was bleibt ist die Geschichte einer faszinierenden Erfindung, die ihrer Zeit in vieler Hinsicht voraus war. Eine Idee, die vor zweieinhalb Jahrhunderten geboren wurde und die Menschheit bis heute nicht losgelassen hat. Eine Idee, der man wohl getrost unterstellen kann, dass sie weltbewegend gewesen sei: Die Idee des Automobils. Der aus sich selbst heraus bewegten Maschine. 

 

Weblinks / Urheberrecht

https://www.traumautoarchiv.de/html/1356.html

https://de.wikipedia.org/wiki/Nicholas_Cugnot

https://lefardierdecugnot.fr/inventeur

https://www.youtube.com/watch?v=UMadF_YkQEg

© Text: Markus Zinnecker, 2024

Bild: Schnittzeichnung des Fardier, gemeinfreies Werk

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Nicholas_Cugnots_Dampfwagen.jpg

 

Sonntag, 1. Dezember 2024

1. Advent, Gedanken zu Weihnachten

Heute ist der 1. Advent, der Tag, an dem die Weihnachtszeit beginnt. Ein guter Anlass, einmal ein wenig über das Thema Weihnachten nachzudenken. 

Der nachfolgende Text ist bereits ein paar Jahre alt. Er erschien im Dezember 2021 schon einmal. Er ist aber noch immer aktuell, darum veröffentliche ich ihn hier - in frisch überarbeiteter Form - einfach noch einmal.


Gedanken zu Weihnachten

Gedanken zu Weihnachten? Echt jetzt? Das wird doch sicher wieder eine der üblichen Meckertriaden. Hier der böse Kommerz, da die oberflächliche Pseudofreude. Immer die gleiche olle Leier, alle Jahre wieder.

Ich gebe zu, im ersten Entwurf wäre es fast in diese Richtung abgebogen. Allerdings bin ich mir sicher, dass Sie werte Leserinnen und Leser davon die Nase genauso gestrichen voll haben wie ich. Außerdem – und dies war zweifellos der größte Einfluss in der Genese dieses Textes – hat sich irgendwann ein mir sehr eng verbundener Mensch hinter mich gestellt und mitgelesen, was da so auf dem Computerbildschirm dabei war Gestalt anzunehmen. Ihr Kopfschütteln konnte ich nicht sehen, aber spüren. Außerdem hörte ich die Worte: „Du alte Meckerziege! Denk Dir doch was Neues aus.“ Als sie wegging.

Darum habe ich diesen ersten Entwurf dem ewigen elektronischen Vergessen übergeben und noch mal neu angefangen. Mal abgesehen davon, dass diese Form der Konsumkritik oft sehr aufgesetzt wirkt. In aller Öffentlichkeit heftig wettern und dann heimlich still und leise - hoffentlich merkt es keiner – losziehen und im glühweinseligen vorweihnachtlichen Shoppingtrubel untertauchen. Igitt! Das ist im Grunde genauso pervers daneben wie der Weihnachtsmann im Puff. Lassen wir das also einfach sein, wünschen dem Rotmantelträger viel Spaß und befassen uns mit etwas anderem.

 

Viel interessanter ist es doch, sich Weihnachten einmal unter einem anderen Gesichtspunkt anzusehen. Abgesehen von tieferen religiösen oder gesellschaftlichen Sinnen ist Weihnachten ja auch ein Spiegel der Menschheit. Rekordumsätze sind ebenso Teil des menschlichen Komplexes wie Selbstreflexion und der Wunsch nach Harmonie und Besinnlichkeit oder steigende Selbstmordzahlen. Wobei Letzteres ein unhaltbares Klischee ist, denn wissenschaftlich ist tatsächlich kein Zusammenhang zwischen Weihnachten und Suiziden feststellbar 1 ganz im Gegenteil scheint es sogar so, dass die absolute Zahl der Selbstmorde um Weihnachten herum eher sinkt. Es ist wohl einfach so, dass zu dieser Jahreszeit in den Medien häufiger über Suizide berichtet wird und diese darum mehr ins Bewusstsein der Menschen rücken.

Weihnachten ist in der europäisch-westlichen Kultur mit einer bestimmten Erwartungshaltung verbunden. Weiße Weihnachten mit dem Riesenchristbaum vorm Rockefeller Center in New York City, leuchtende Kinderaugen und oh-du-fröhliches Familienglück. Dazu im genau rechten Maße, die Tröstungen der Religion und der Zauber uralter Mysterien. Meinen herzlichen Glückwunsch an die Coca-Cola-Company, Hollywood und den Vatikan: Ihr habt es geschafft! Eure jeweiligen Idealbilder sind tief im kollektiven Bewusstsein eines Gutteils der Menschheit verwurzelt. Es ist eine echte Leistung, solche Dinge nachhaltig in zig Milliarden Schädel zu hämmern.

Es geht aber auch anders. In Australien sitzen am Heiligen Abend sicher irgendwo ein paar Jugendliche mit Grill und Gettoblaster am Strand und feiern auf eine für uns Europäer sehr unweihnachtliche Art Weihnachten. Gut möglich, dass einen der Hai erwischt, wenn man sich kurz abkühlen will, aber das gehört auch dazu. Andernorts werden Leute angeblich im Krankenhaus eingeliefert, weil sie sich an Großmutters Truthahnbraten überfressen haben, ein gewisses Restrisiko scheint also in der Natur der Sache zu liegen.

Derweil geht irgendwo in Russland jemand zur Arbeit. Weihnachten ist weit weg, erst in ein paar Wochen im Januar. Natürlich sind das alles nur Varianten des bekannten Themas. Weihnachten ist Weihnachten, denn auch in Australien rennen die Leute in waren Horden in die Geschäfte und das in Russland die Weihnachtslieder ein paar Wochen später gesungen werden, ändert letztlich auch nichts. Jingle Bells gibt es auch in einer russischen Version. звон колоколов für die ganz Neugierigen. Und fragen Sie mich ja nicht, wie man das ausspricht.

Außerdem, das wird gerne vergessen, gibt es Orte, an denen Weihnachten gar nicht gefeiert wird. Ob das nun an der vorherrschenden Kultur oder Religion liegt oder an einem politischen System, das derartigen Bräuchen feindlich gesonnen ist, spielt dabei erst einmal eine untergeordnete Rolle. Seien Sie ehrlich: Können Sie sich ein Jahr ohne Weihnachten vorstellen? Egal wie sie zu den Weihnachtsbräuchen und Gepflogenheiten hierzulande stehen, ganz ohne Weihnachten ist es eigentlich nicht vorstellbar. Dabei ist genau das für sehr viele Menschen Realität. Sehr wahrscheinlich wissen sie von der Existenz des Weihnachtsfestes, sowohl in seiner religiösen wie in seiner weltlichen Form. So ist ja auch den meisten Menschen bekannt, dass es den Ramadan oder Jom Kippur gibt, auch wenn sie sich weder dem muslimischen noch dem jüdischen Glauben zurechnen. Nun sind uns auch im Westen Islam und Judaismus relativ nahe, aber auch von – aus europäischer Sicht – eher exotischen Festen wie dem Diwali, dem hinduistischen Lichterfest, hat man schon mal gehört. Wirklich relevant ist es für das persönliche Leben nicht. Einmal zu versuchen, Weihnachten aus dem Blickwinkel eines Außenstehenden zu betrachten, kann sehr aufschlussreich sein.

 

Bitte nicht falsch verstehen, nichts davon erhebt irgendeinen Anspruch auf abschließende Richtigkeit und Vollständigkeit. Wie auch das ist bei einem solchen Thema im Grunde völlig unmöglich. Ob Sie nun also Weihnachten feiern oder nicht, und wenn Sie es tun wie das spielt eigentlich keine Rolle. Dennoch sei allen Leserinnen und Lesern hier eine gute, wenn möglich friedvolle und - mehr geht eigentlich nicht mehr – frohe Zeit gewünscht. Ob nun mit oder ohne Weihnachtsbaum, denn eigentlich geht es doch darum, dass man friedlich und freundlich mit dem rechten Maß an Herzenswärme miteinander umgeht. Nicht nur an ein paar willkürlich festgelegten Tagen im Dezember, sondern auch im Rest des Jahres.

 

 

© Text: Markus Zinnecker, 2021 (überarbeitet 2024)

Quellen:

1 https://correctiv.org/faktencheck/2023/12/12/weihnachten-geruecht-im-dezember-steigt-die-zahl-der-suizide-nicht-an/

 

Freitag, 22. November 2024

Besuch aus dem Weltraum

 

Ihr kennt das vermutlich. Man nimmt ohne besonderen Grund sein Handy zur Hand und schaut, was sich so in den digitalen Weiten des Cyberspace tut. Meistens ist die Antwort darauf recht einfach: Viel, aber wenig davon ist interessant. Bisweilen bleibt man dann aber doch an irgendeinem Posting hängen. In diesem Fall war es ein Bild in einem sozialen Netzwerk, das drei Aliens zeigte. Klassisch dargestellte, graue, entfernt menschenartige, aber doch vertraut wirkende Außerirdische. Die drei sitzen in einer schmierigen Bar, vermutlich auf irgendeinem entlegenen Außenposten in irgendeiner weit entfernten Ecke des Alls. Einer sagt: „Wisst ihr was: Die Menschen wissen, wie man die Energie der Sonne nutzt und trotzdem killen sie sich fleißig gegenseitig. Wegen Öl.“ Alle drei lachen und ein anderer wirft ein: „Und dabei wundern sie sich, warum wir keinen Kontakt mit ihnen aufnehmen.“

Ja, ein guter Witz, der mit der leider oft wenig lustigen Situation auf unserem Heimatplaneten spielt. In Zeiten, in denen eine globale Pandemie der Dummheit ausgebrochen zu sein scheint, wirkt es erschreckend aktuell. Vielleicht ist es ja wirklich so, dass wir von der galaktischen Gesundheitsaufsicht unter Quarantäne gestellt wurden. Das eigentlich Schlimme dabei ist ja, dass das nicht neu ist. Bereits vor etlichen (Licht)Jahren habe ich die nachfolgende Geschichte an anderer Stelle veröffentlicht. Durch das Bild ist sie mir wieder eingefallen und ich will sie darum hier an dieser Stelle nochmal aus dem Frachtraum meiner ganz persönlichen fliegenden Untertasse herauskramen.


 

Besuch aus dem Weltraum

Am äußeren Rand des Sonnensystems trieb eine Warnboje. Sie schien alt und abgenutzt zu sein, vermutlich dümpelte sie also schon längere Zeit durch die unendlichen Weiten des Alls. Aber – und darauf kommt es bei einer Warnboje schließlich an – sie funktionierte noch immer ganz hervorragend, auch wenn der Fusionsreaktor manchmal etwas blubberte und das Impulstriebwerk bei jeder Kurskorrektur quietschte. Wenn sich ein Raumschiff näherte, übermittelte sie automatisch eine Botschaft: „Vorsicht: gefährliches System! Dritter Planet von aggressiver Spezies bewohnt. Vermeiden Sie jeden Kontakt.“ Manchmal, wenn die etwas durchgeknallte künstliche Intelligenz – wie die Boje selbst nicht mehr das neueste Modell -  einen guten Tag hatte, fügte sie noch hinzu: „Am besten hauen Sie jetzt, also SOFORT, den Rückwärtsgang rein und verziehen sich mit der maximalsten Maximalgeschwindigkeit, die ihr Raumschiff hergibt. Ich mein das echt ernst!“ Gelegentlich kam es vor, dass sich trotzdem ein Schiff in das System vorwagte.

Ein solcher wagemutiger Reisender ignorierte vor ein paar Tagen die Warnung und drang in das gefährliche System vor. Eigentlich sah es ja nicht besonders bedrohlich aus. Das tat ein gelbhäutiger Zwergzork vom Planeten Uhuhu 26 aber auch nicht, zumindest nicht, bis er einem seine drei giftigen Hauer ins Fleisch rammte. In diesem System umkreisten ein paar Gasriesen und eine Handvoll eher uninteressanter Gesteinsplaneten einen gelben Zwergstern. Dabei war der dritte Planet, -der auf dem angeblich die aggressiven Ureinwohner hausten- von überwältigender Schönheit. Eine blaue Welt mit riesigen Ozeanen und einigen kleinen Kontinenten. Scheinbar hatten die Bewohner des Planeten schon eine relativ fortschrittliche Technologie, denn eine Unzahl von Satelliten schwirrte im Orbit umher. Für den Raumreisenden aus einer fernen Welt war das gut, denn er konnte sein Raumschiff in diesem Gewühl bequem verstecken. Er fand einen sicheren und kostenfreien Parkplatz neben einem verbeulten Fernsehsatelliten. Fernsehen? Die waren echt von gestern hier. Aus dieser sicheren Position heraus beobachtete er einige Zeit lang das Treiben der Planetenbewohner.

 

Tatsächlich ging es auf dem Planeten heiß her. In vielen Gegenden schien Krieg zu herrschen. Ein paar ICBMs schwirrten immer irgendwo umher und auf der Nachtseite ließ sich das bunte Feuerwerk von Flächenbombardements beobachten. Zeitweise zündelte irgendein Irrer sogar an thermonuklearen Sprengladungen.

Der Raumreisende dachte an die Verwüstungen, die solche Versuche in seiner eigenen Heimat angerichtet hatten. Vor sehr langer Zeit schon, hatte sein Volk beschlossen, die Finger von derartigen Dingen zu lassen. Es war einfach keine gute Idee, radioaktive Knallfrösche zu bauen.  Was auch immer die Leute hier damit bezwecken mochten, sonderlich intelligent schienen sie nicht zu sein. Hatten sie all das Zeug, das im Orbit herumflog, tatsächlich selbst erfunden? Da sie keine interstellare Raumfahrt betrieben -ein Gedanke, bei dem es dem fremden Besucher eiskalt die Tentakel herunterlief - musste es so sein. Immerhin schien es auf dem Planeten ein paar Gegenden zu geben, in denen die Bewohner friedlich lebten. Oder sich zumindest nicht mit Waffengewalt stritten, was immerhin etwas war. An einem Ort wie diesem musste man schon mit kleinen Dingen zufrieden sein. Vom Forschergeist getrieben, beschloss der Fremde, in einer solchen Gegend zu landen und sich die Planetenbewohner aus der Nähe anzusehen. Das würde interessant sein. Außerdem war es ja durchaus möglich, dass diese Leute von ihm lernen würden, wie man sich anständig benimmt. Aber eins nach dem anderen, erstmal runterkommen, ohne aus Versehen abgeschossen zu werden.

 

Als Landeplatz wählte er eine Stadt auf der Nordhalbkugel. Keine große Metropole, aber auch kein Dorf. Eine mittelgroße Stadt, die den Eindruck erweckte, auf eine lange Geschichte zurückzublicken. Im Landeanflug sah er eine erstaunliche Mischung architektonischer Stile und Formen. Gebäude zahlreicher Epochen existierten friedlich zusammen und bildeten einen ästhetisch ansprechenden Hintergrund. Breite Straßen durchzogen die Stadt und dienten dem Verkehr mit Fahrzeugen und von Fußgängern. Allerdings gab es auch Bereiche, die scheinbar nur für Fußgänger bestimmt waren und Stellen, an denen Pflanzenwuchs gezielt gefördert wurde. Auf einer solchen Fläche landete der Fremde sein Raumschiff.

Er wartete einige Zeit, bevor er ausstieg, und legte außerdem -nur um ganz sicherzugehen, denn das hier war ja immer noch tiefste Wildnis - den Gurt mit der Laserpistole um. Zwar war er ein Pazifist, aber es gab Situationen, in denen es durchaus nützlich sein konnte, sich seiner Haut zu erwehren. Gerade in einer Gegend, in der es vor primitiver Wilder nur so wimmelte. Zudem war am Gürtel ein universelles Spracherkennungsgerät befestigt, das sich als nützlich erweisen dürfte und sowieso, ein anständiges Alien - das wusste doch jeder Schlüpfling - musste eine Laserkanone haben.

Draußen vor dem Schiff hatte sich eine ansehnliche Menge versammelt und schaute den Raumreisenden mit weit aufgerissenen Augen schweigend an. Dieser stützte sich auf seine Tentakel und betrachtete die Planetenbewohner. Zugegeben, sie sahen seltsam aus, aber sie schienen friedlich zu sein. Im Moment wenigstens. Dann bahnte sich plötzlich einer von ihnen einen Weg durch die Menge. Ein besonders kräftiges Exemplar, das eine Art Uniform zu tragen schien. „Wer sind sie und was soll das hier?“ Die Worte des Planetenbewohners wurden vom Spracherkennungsgerät übersetzt, ebenso die Antwort. „Ich komme von weit her und besuche ihren Planeten. Ich würde gerne mehr über sie erfahren.“ Für einen Moment schwieg der Planetenbewohner. Dann antwortete er: „Ja, ja, wir haben hier viele Touristen. Aber sie dürfen hier nicht parken.“ Mit einem seiner Gliedmaße zeigte er auf etwas, das dem Fremden unbekannt war, aber vermutlich ein Hinweisschild sein sollte. „Ich verstehe nicht. Aber ich würde gerne lernen.“ Er wählte seine Worte bewusst freundlich, doch der Planetenbewohner wurde immer ungehaltener. „Das würde ihnen so passen, einfach hier landen und die Grünfläche kaputtmachen. Das kostet mindestens, wenn nicht noch mehr. Das geht einfach nicht.“ Die Stimme des Wilden überschlug sich vor Erregung und während er das sagte, schrieb er etwas auf einen Zettel, den er dem Fremden reichte. „Was ist das?“ Fragte dieser, so freundlich wie möglich. „Eine kostenpflichtige Verwarnung wegen Verstoß gegen die städtische Grünflächenverordnung, falsch Parken und dem illegalen Betrieb eines nicht registrierten Flugkörpers.“

Der Reisende beschloss, dass es besser war, zu verschwinden. Hier, auf diesem Planeten, war wirklich nichts mehr zu machen. Als der dritte Planet langsam immer kleiner wurde, dachte er: „Es ist wohl besser, wenn ich dem galaktischen Rat eine Nachricht schicke. Die Warnboje muss dringend erneuert werden.“

 

Text: Markus Zinnecker, 2020, überarbeitet 2024
Bild:
pixelcreatures via Pixabay Quelle: https://pixabay.com/de/vectors/alien-monster-figur-671296/