Charles Kettering; der Mann, der das Elektroauto tötete (zumindest vorübergehend)

Stellen Sie sich eine Welt vor, in der es Clyde Coleman und Charles Kettering nie gegeben hat. Wie sieht die wohl aus? Jetzt wird sich ein großer Teil der werten Leserschaft zweifellos fragen: „Wer zum Geier sollen die beiden sein?“ Zugegeben, sie gehören nicht gerade zu den Popstars der Geschichte, dennoch sind sie für die Entstehung der Welt, wie wir sie heute kennen, von großer Bedeutung. Ihre Geschichte ist es darum wert, erzählt zu werden.

Fangen wir damit an, wie die Welt ohne die beiden US-Amerikaner denn aussehen würde. Nun, wenn Sie morgens aus dem Haus gehen und in Ihr Auto steigen, dann hätten Sie drei Möglichkeiten. Zum einen könnten Sie einfach einen Schalter umlegen und mit der stillen und sauberen Kraft der Elektrizität einfach los summen. Zugegeben, in vielen Fällen ist genau das heute ja der Fall, denn Elektroautos erleben eine Renaissance. „Renaissance? Die sind doch ganz neu!“ mag jetzt eventuell jemand einwenden, aber ganz so ist es nicht.

Als es damals mit der massenweisen Verbreitung des Automobils so richtig losging, also um das Jahr 1910 herum, da waren Elektroautos drauf und dran, den jungen Verbrennungsmotoren oder gar der guten alten Dampfmaschine so richtig zu zeigen, was Sache ist. Doch es sollte anders kommen, was wir ja beim Blick auf jede beliebige Straße bestätigt bekommen. Noch sind, wie schon seit über einem Jahrhundert, die Verbrenner in der gewaltigen Überzahl. Elektroautos waren jedoch nie so ganz weg. Anders als die nächste Alternative in unserer Alternativwelt. Dampfkraft. Für den täglichen Arbeitsweg taugt die nur für Menschen mit Geduld und einem Hang zum Frühaufstehen. Denn bevor Sie losfahren könnten, muss erst der Kessel angeheizt werden. Wasser einfüllen, Brennstoff zugeben und dann warten, warten und nochmal warten. Es dauert etwas, bis genug Dampfdruck aufgebaut ist, um loszuschnaufen. Abgesehen davon ist die Sache saugefährlich. Wer sich nicht verbrennt oder von ultraerhitztem Dampf das Fleisch von den Knochen gegart bekommt, den zerreißt es womöglich mit einem lauten Knall. Immerhin erspart diese Todesart den Erben den Kauf eines Sarges. Das ist aber auch schon der einzige Vorteil.

Wem Elektrizität und Dampf zu suspekt sind, dem steht natürlich auch in unserer Alternativwelt ein Verbrennungsmotor zur Verfügung. Doch dieser hat allerdings so seine Tücken. Denn er will ja zum Leben erweckt werden. Einfach anlaufen, wie ein Elektromotor oder eine Dampfmaschine, kann er nicht. Die Kurbelwelle muss auf Anlassdrehzahl gebracht werden. Doch wie? Dazu greift man dann eben zur Kurbel und kurbelt kräftig, bis die Benzinkutsche oder das Dieselross losplötern und man sich auf den Weg zur Arbeit machen kann – oder zum Arzt, weil einem eine Fehlzündung den Arm gebrochen oder einen Daumen abgerissen hat.

 

Ich glaube, jetzt ahnen Sie schon, worum es bei den beiden Herren vom Anfang geht, oder? Ja genau, die beiden haben den elektrischen Anlasser erfunden. Dies geschah in einer Zeit, als unser alternatives Morgenszenario für die Automobilbesitzer – beziehungsweise deren Chauffeur – tägliche Routine war. Speziell in den USA, in denen verschiedene Faktoren die frühe Verbreitung des Autos in großer Zahl begünstigten, war es tatsächlich so, dass Autos für Selbstfahrer häufig elektrisch angetrieben wurden. Auch Lieferwagen für den Gebrauch in Städten, die häufig abgestellt und wieder gestartet werden mussten, waren vielfach elektrisch. Nur die reichen Herrschaften ließen sich in Dampf- oder Benzinwagen chauffieren, ihnen waren die Gefahren einfach egal, denn sie hatten ja Personal.

Tatsächlich kam es immer wieder zu tödlichen Unfällen beim Ankurbeln von Autos, was die Hersteller auf den Plan rief, denn diese fürchteten um ihre Reputation. Als erster Hersteller brachte schließlich die Firma Cadillac einen Wagen mit „Selbststarter“ – wie man damals den elektrischen Anlasser nannte – auf den Markt. Dies geschah im Jahre 1911 und führte zu einer Reihe von Weiterentwicklungen dieser Technologie. All dies geschah unter der maßgeblichen Leitung des Ingenieurs Kettering.

Doch dieser baute auf die vorangehenden Arbeiten Colemans auf, der bereits im Jahr 1903 ein Patent für einen frühen elektrischen Anlasser erhielt, der sich jedoch nicht zum Gebrauch im Serienbau eignete. Allerdings interessierte sich bereits zu diesem Zeitpunkt die Industrie für diese Technik und so konnte Coleman sein Patent an die Dayton Engineering Laboratories Company verkaufen. Dort entwickelte Kettering dann, unter anderem in Zusammenarbeit mit Cadillac, das System zur Serienreife weiter. Schließlich wurde der Anlasser bereits ab 1912 von Cadillac als Sonderwunsch angeboten. Somit waren die Cadillac-Wagen die Ersten, die mit dieser neuen Technik ab Werk erhältlich waren. Auch europäische Hersteller übernahmen die Technik bald. Zum ersten Mal im Jahr 1913 durch Lancia im Modell Theta.

Das einfache Starten auf Knopfdruck erhöhte die Beliebtheit von Autos mit Verbrennungsmotor innerhalb so kurzer Zeit, dass nahezu alle Hersteller von Fahrzeugen mit Elektro- oder Dampfantrieb innerhalb weniger Jahre verschwunden waren. Ironisch ist dabei schon, dass das erste echte Volksautomobil, das Ford Modell T, lange Zeit nicht mit Anlasser erhältlich war, sondern noch angekurbelt werden musste.

Charles Franklin Kettering, geboren am 29. August 1876 und verstorben am 24. oder 25. November 1958, war der Begründer von DELCO und später Entwicklungschef von General Motors.

 

Quellen: 

Bild: https://de.wikipedia.org/wiki/Charles_Kettering

https://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/kalenderblatt/1702-cadillac-kettering-deeds-erster-anlasser-100.html

https://www.wired.com/2010/11/1124automatic-automobile-starter/

https://search.amphilsoc.org/memhist/search?creator=Charles+F.+Kettering&title=&subject=&subdiv=&mem=&year=&year-max=&dead=&keyword=&smode=advanced

 

 

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