Donnerstag, 5. Juli 2018

Fahrzeugportrait: Kreidler RC50 (Flory)

Grundsätzliches
Kreidler, ein Name wie Donnerhall. Auch wenn es jetzt schon einige Jahrzehnte her ist, dass die letzte Maschine das Werk in Kornwestheim verlassen hat. Es ist wohl nicht vermessen zu behaupten, dass der Name Kreidler in den Annalen der Motorradgeschichte in einem Atemzug mit Marken wie BMW, Laverda oder Harley-Davidson zu nennen ist. Kurz gesagt: Kreidler ist eine Legende.
Von der alten Firma Kreidler ist heute jedoch nur noch der Name übrig, die Rechte daran gingen im Laufe der Zeit durch diverse Hände, unter anderem auch durch die der Prophete GmbH. Einem Unternehmen, das selbst als Hersteller von Fahr- und Motorrädern seit den Pioniertagen der Motorisierung aktiv ist. Die Roller die unter der Ägide von Prophete als Kreidler verkauft wurden entstammten jedoch taiwanesischer Produktion.
Der RC50, zeitweise mit dem Namenszusatz Flory angeboten, ist ein Produkt der Firma Standardmotors Taiwan (SMC), die vor allem für die Rex- und Rexyroller der 1990er Jahre bekannt ist. Den RC50 gab es folgerichtig auch als Rexmodell von einem anderen Importeur. Diese, bis auf die Dekoraufkleber völlig mit dem RC50 identischen, Fahrzeuge wurden als Flash oder Speedy angeboten. Das hier geschriebene gilt naturgemäß auch für diese Roller.
Motor und Antrieb
Der Motor ist ein Lizenzbau des bekannten Minarellimotors und mit diesem weitgehend kompatibel. Es handelt sich um die Ausführung mit langer Schwinge und Trommelbremse hinten, die im Original unter anderem im Yamaha Neo`s / MBK Ovetto Verwendung findet.

Dieser Motor ist bekannt für kräftigen Antritt und lange Lebensdauer. Er leistet im RC50 3,1kw bei 6800upm (50/45km/h Version) oder 1,5kw bei 5500upm (25km/h Version). Die Kraftübertragung erfolgt mittels eines klassentypischen stufenlosen Automatikgetriebes. Im RC50 fällt die werksseitige Antriebsabstimmung leider nicht optimal aus, die werksseitig eingebauten Fliehgewichte sind zu schwer gewählt und lassen den Roller träge antreten und an Steigungen stark abfallen. Hier hilft die Umrüstung auf leichtere Fliehgewichte, die leider nicht zulässig ist, auch wenn sich in der Praxis nur sehr selten jemand daran stoßen dürfte.

Fahrwerk und Bremsen
Das Fahrwerk des RC50 hält keine nennenswerten Überraschungen bereit. Es handelt sich um einen Stahlrohrrahmen mit Telegabel vorne und einem einzelnen Federbein hinten.

Die Telegabel ist von einfacher Machart, aber solide. Ihre Dämpfungswirkung ist relativ gering, was dazu führt, dass harte Stöße gnadenlos an den Fahrer weitergegeben werden. Das hintere Federbein solidarisiert sich mit der Gabel und tritt ebenfalls kräftig nach. So erhält der Fahrer extrem deutliche Rückmeldung über den Zustand der Straße. Trotz dieser Unzulänglichkeiten liegt der RC50 gut auf der Straße. Mit guten Reifen ausgerüstet steht dem Fahrer immer ausreichend Grip zur Verfügung. Der relativ hochbeinige RC50 hat viel Schräglagenfreiheit und eignet sich gut zum Kurvenräubern.
Auf kleinen, kurvigen Landstraßen bietet er sehr viel Fahrspaß und kann auch sportlich ambitionierte Fuffipiloten befriedigen.

Die Bremsanlage, bestehend aus einer kleinen Scheibe vorne und einer Trommel hinten, ist ausreichend dimensioniert. Mit angenehm geringen Bedienkräften bringen die Stopper den Roller zuverlässig zum Stehen. Dabei neigt der RC50 nicht zum Überbremsen, wie viele andere Roller von SMC, was wohl seinem höheren Gewicht geschuldet sein dürfte, denn grundsätzlich ist die Bremsanlage weitgehend baugleich zu der der kleineren Rexroller. Sicher tragen die beiden Zwölfzöller mit breiten 120er (vorne) bzw. 130er (hinten) Gummis ebenfalls hierzu bei. Der 74kg schwere RC50 ist ausgesprochen handlich und wendig genug, um sich durch das alltägliche Verkehrschaos zu schlängeln. Die relativ großen und breiten Räder behindern ihn hier nicht.

der RC50 im Alltagsgebrauch
Roller wie der RC50 sind primär Nutzfahrzeuge. In dieser Disziplin kann er dann auch punkten. Er ist nicht nur einer der wenigen modernen Roller, die ein (benutzbares) Handschuhfach aufweisen, er hat auch noch ein großes, gut nutzbares Helmfach. Zudem ist er bereits ab Werk mit einem soliden Gepäckträger ausgerüstet, dieser eignet sich gut zum Anbau eines Topcase. Der Wetterschutz hinter der eher schmal gehaltenen Verkleidung ist ausreichend, wenn auch nicht perfekt. Für Allwetter- und Ganzjahresfahrer sollte eine Windschutzscheibe aber ohnehin obligatorisch sein.
das Handschuhfach ist beim RC50 sehr gut nutzbar, anders als bei vielen anderen modernen Rollern
 Anders als andere Baumarktroller ist der RC50 zudem relativ groß und lang, er passt damit auch Fahrern mit europäischem Körperbau. Insbesondere langbeinige Menschen wissen ein breites und tiefes Trittbrett zu schätzen.
Der RC50 war ab Werk stets mit einem Seitenständer ausgerüstet. Dies ist im Alltagsgebrauch nützlich, den der Hauptständer ist unglücklich positioniert, so dass Aufbocken trotz des relativ geringen Gewichts schwierig ist.
das Cockpit ist einfach, liefert aber alle nötigen Informationen
Die groß dimensionierten Blinker und das große, gut sichtbare Rücklicht sorgen für Sicherheit. Der Scheinwerfer ist hingegen unterdimensioniert. Nachtfahrten auf unbeleuchteten Landstraßen werden mit dem RC50 schnell zur Mutprobe. Leider gibt es kaum eine praktikable (und zulässige) Lösung für dieses Problem. Doch dies ist kein typisches Problem sondern ein Schwachpunkt bei vielen Fuffirollern seiner Zeit.


Bei Wartung und Unterhalt, kann der RC50 dann wieder Boden gutmachten. Die wesentliche Technik ist gut zugänglich. Das Helmfach ist nach Lösen weniger Schrauben herausnehmbar, ohne das die Heckverkleidung demontiert werden muss. Dieses Feature wünscht man sich bei manch deutlich teurerem Roller! Nervig ist der kleine und schlecht zugängliche Öltank der Getrenntschmierung. Hier ist beim Nachfüllen des lebenswichtigen Schmierstoffs Vorsicht geboten, sonst landet mehr des kostbaren Rohrstoffs auf dem Pflaster als im Tank.

Schwachpunkte
Konstruktiv bedingte Schwachpunkte kennt der RC50 eigentlich nicht. Er leidet eher, wie alle Baumarktroller, unter Ignoranz und Geiz seiner Besitzer. Viele der heute gebraucht angebotenen RC50 sind in verwahrlostem Zustand und die Wartung wurde entweder gar nicht oder schlecht ausgeführt.

Im Winter gefahrene Exemplare können Rostschäden aufweisen. Zudem ist der bei, der 45km/h-Version und späteren Mofas, verwendete Auspuff mit ungeregeltem Kat von schlechter Qualität. Der Schalldämpfer ist hier oft schon nach einem Winter rettungslos durchgerostet. Viele RC50 sind daher mit, nicht immer legalen, Zubehörauspuffanlagen unterwegs. 

ggf. eignet sich der RC50 auch als Basis für Customprojekte
Fazit
Wer einen soliden, verlässlichen und praktischen Roller sucht wird beim RC50 fündig. Neufahrzeuge gibt es leider nicht mehr, daher bleibt nur der Gebrauchtkauf.
Bei der Suche nach einem RC50 sollte sich der Interessent darauf gefasst machen, sehr viele Schrottroller ansehen zu müssen, bis er einen guten gefunden hat. Wie bei allen Billigrollern ist der Wartungszustand vieler Fahrzeuge so schlecht, dass sie nicht mehr verkehrssicher sind. Der vergleichsweise geringe Wert der Fahrzeuge rechtfertigt zudem keine umfangreiche Sanierung, dafür sind Teileträger günstig zu bekommen.
Wer jedoch das Glück hat einen gut erhaltenen RC50 zu finden, der bekommt einen Roller, der ihm noch viele Jahre Freude bereiten und treu dienen wird.


 


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