In kaum einer anderen Gegend sind
die Alpen so malerisch, ja schon fast schmerzhaft-klischeebeladen schön, wie im
Berchtesgadener Land. Nicht zuletzt darum ist diese Region in den Sommermonaten
keine Empfehlung für Genussreisende auf der Suche nach Stille und Erholung. Zu
viele Touristen erliegen Jahr für Jahr dem Charme der Bergwelt. Aus diesem
Grund bin ich diese Tour erst relativ spät im Jahr gefahren. Anfang Oktober ist
es noch warm genug um die Landschaft entspannt zu genießen, aber die Saison der
ganz großen Touristenströme ist auch schon wieder vorbei. Es ist eigentlich die
perfekte Jahreszeit um den südlichsten Zipfel Bayerns zu erleben.
Von Regensburg nach Berchtesgaden
sind es nur knapp 250km. Keine allzu gewaltige Tagesleistung, was aber dem Reisegenuss
auch zuträglich ist. Gegen acht Uhr bin ich, bei nasskalter Herbstwitterung
aufgebrochen und auf der Bundesstraße 8 in Richtung Straubing gefahren. Kurz
vor der Gäubodenmetropole zweigt die B20 ab, sie wird hier in der Region auch
Tschechenrennbahn genannt. Es ist eine breite, für den schnellen Fernverkehr
ausgebaute Straßenachse, die von der tschechischen Grenze bis kurz vor die
österreichische führt. Daher auch der Name, viel Schwerverkehr aus unserem
östlichen Nachbarland nutzt diese Route auf dem Weg nach Süden. An diesem
Samstagmorgen ist aber wenig los und ich kann die langsam vorbeiziehende
Landschaft genießen. Bei Landau an der Isar fällt die Strecke langsam ab, die
Ausläufer des Rottals sind erreicht. Diese Gegend ist für zwei Dinge berühmte:
Ihre Pferde und ihren Nebel. Das Zweite verstellt mir den Blick auf das Erste
und ich bemerke auch nicht, dass irgendwo zwischen Landau und Burghausen die
Tachowelle meines TPH ihr Leben ausgehaucht hatte. Ich wusste also nicht mehr
wie schnell und wie weit ich fuhr, die Tankuhr wurde somit zum wichtigsten
Instrument und nach ihrem Diktat ging es weiter.
Denkmal "für den unbekannten Radfahrer" in Burghausen |
Die Burg Burghausen, umgeben von geheimnisvollem Nebel. |
Burghausen ist für mich die
letzte deutsche Stadt auf der Route. Denn statt der B20 weiter nach Freilassing
zu folgen, schlage ich einen Kurs ein der in einem Bogen durch Österreich
führt. Vorbei an der Motorradstadt Mattighofen geht es nach Salzburg. Der
Samstag scheint hier ein sehr geschäftiger Tag zu sein, denn dichtes
Verkehrsgewühl empfängt mich in der alten Bischofsstadt. Dennoch strahlt der
Tankwart tiefe Gelassenheit aus als ich die Tanks meines Rollers fülle. Mit
frischem, günstigem Sprit im Tank geht es zurück über die Staatsgrenze nach
Deutschland. In Freilassing finde ich die B20 wieder und folge ihr nach Bad
Reichenhall. Kurz vor dem berühmten Kurort geht es auf eine kleine Nebenstrecke
und in fröhlich-alpinem Kurvenschwung nach Berchtesgaden hinüber. Kurz vor
meinem eigentlichen Zielort stockt plötzlich der Verkehr. Grund ist ein Stück
echten, nicht für zahlende Gäste inszenierten, alpenländischen Brauchtums. Ein
Almabtrieb ist im Gange und die geschmückte Rinderherde, die von einigen
Männern in Tracht begleitet wird, blockiert kurzzeitig die Straße.
Rindviecher im Straßenverkehr sind nicht immer ein Ärgernis. |
Berchtesgaden umfahre ich
zunächst auf der Umgehungsstraße nach Oberau. Hier zweigt die Rossfeldstraße
ab, mein erstes Tagesziel. Von der Mautstation aus geht es hinauf auf 1560
Meter, die höchste Straße in Deutschland empfängt mich mit herrlichen Kurven
auf wunderbar glattem, trockenem Asphalt. Den Roller diese Straße hinauf zu
treiben, mit der Straße zu tanzen und dem Motor zu lauschen ist ein reiner
Genuss. Es ist schon fast enttäuschend, wenn der Parkplatz am Gipfelpunkt der
Straße erreicht ist und der Motor verstummt. Doch das herrliche Alpenpanorama
entschädigt sofort, löst Glücksgefühle einer ganz anderen Art aus. Ich bin für
einen Moment völlig allein und sauge die tiefe Stille der Berge förmlich auf.
an der Rossfeldstraße |
Die Südrampe der Rossfeldstraße
war einst Schauplatz legendärer Bergrennen. Waren es früher die gewaltigen
Silberpfeile der berühmten deutschen Werke oder die faszinierend fragilen
Renner der Italiener, die diese Straße hinauf stürmten, so ist es heute mein
italienischer Roller, der den Berg hinunter gleitet. Weniger schnell, denn er
hat nicht die Bremsen eines Bergrennwagens. Unten wartet der Obersalzberg auf
mich. Ein Ort der in der Geschichte einen besonderen, dunklen Platz einnimmt.
Hier stand einst der so genannte Berghof, die Sommerresidenz Adolf Hitlers. Von
den damaligen Gebäuden ist nichts mehr erhalten, es gibt einen Gasthof und ein
Dokumentationszentrum. Ersterer ist eine grenzwertige Mischung aus alpinem
Murmeltierkitsch und Fastfood-Restaurant und stößt mich derart ab, dass ich
mein Mittagessen auf später verschiebe.
Das Dokumentationszentrum Obersalzberg. |
Ich gehe hinüber ins
Dokumentationszentrum und tauche in eine Welt ein, die so gar nichts mit der
heilen Alpenwelt zu tun hat, die Touristen in dieser Region sonst geboten
werden. Die Ausstellung befasst sich mit der Geschichte der Region während des
Dritten Reiches im Allgemeinen und dem Personenkult um Hitler im Besonderen.
Außerdem ermöglicht sie den Zugang zu einem Teil des „Führerbunkers“, den die
Nazis in den Obersalzberg getrieben hatten.
Einige der Ausstellungsstücke im Dokumentationszentrum. |
Eingang zum "Führerbunker". |
Die düsteren, feuchtkalten
Kavernen habe ich fast ganz für mich alleine. Es ist ein merkwürdiger Ort der
die Fantasie anregt. Hier werden die Geister der dunklen Geschichte lebendig.
Hitler und seine Helfer scheinen nicht weit zu sein und es lässt einen
schaudern. Die Herbstsonne wirkt gleißend und erlösend zugleich, als ich wieder
ins Freie trete. Sehr still und nachdenklich steige ich auf den Roller und
fahre ins Tal hinab und in den Ortskern von Berchtesgaden. Das Hier und Heute
holt mich, bei einem gemütlichen Mittagessen in einer der zahlreichen
Gaststätten des Ortes, endgültig wieder ein. Die dunklen Geister der
Vergangenheit haben sich in ihre Höhlen zurückgezogen, aus denen sie
hoffentlich nie wieder aufsteigen um Teil der realen Welt zu werden.
Auch ich ziehe mich zurück.
Zurück auf die Straße, die mich auf dem direkten Weg der B20 nach Straubing und
weiter nach Regensburg bringt. Mit den letzten Sonnenstrahlen erreiche ich die
Domstadt und ein guter Tag geht zu Ende.
Gefahren am 02. Oktober 2010
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