Von Bergbienen und anderen seltenen Tieren

Leser dieses Blogs wissen zweifellos was eine Ape ist. Aber für den unwahrscheinlichen Fall, dass sich doch jemand hierher verirrt haben sollte, der es nicht weiß, hier eine kurze Erklärung. Eine Ape ist ein auf der Technik der Vesparoller basierender, primitiver Transportwagen aus Italien. Ein krudes Provisorium, irgendwo zwischen Schubkarre, Traktor und Moped angesiedelt, wobei sich in der Ape insbesondere die negativen Eigenschaften dieser Fahrzeuge vereinigen. Ein solches Fahrzeug eignet sich vor allem dazu, die rudimentärsten Bedürfnisse in Sachen motorisierter Fortbewegung zu erfüllen. Die Italiener haben für derartige Mobile sogar ein eigenes Wort erfunden: Motocarro, also Motorkarren, was die Sache sehr gut beschreibt. Durch den Dolche Vita und Retrohype der letzten Jahre wurde dieses Relikt des Wiederaufbaus im Nachkriegsitalien jedoch zu viel mehr. Es wurde zu einem Symbol des Lebensgefühls jenes stiefelförmigen Landes südlich der Alpen verklärt. Zumindest scheinen nordeuropäische Werbemenschen das so zu sehen. Denn in ihrer Heimat spielt die Ape* kaum noch eine Rolle. Noch der sturste Bergbauer in den Abruzzen und der letzte neapolitanische Maurer haben mittlerweile eingesehen, dass ein Kleintransporter japanischer Herkunft alles besser kann als ein solches dreirädriges Fossil.

Wo ein modernes Nutzfahrzeug aus dem Land des ewigen Lächelns, sanft säuselnd und wohl klimatisiert über mittelalterliches Kopfsteinpflaster - damals wusste man noch nicht, dass die glatte Seite der Steine nach oben gehört - gleitet oder souverän über die Autostrada zischt, da hoppelt und scheppert eine Ape asthmatisch keuchend Rauchwolken ausstoßend mühe- und geräuschvoll dahin. Denn die Äußerungen des mechanischen Lebens einer völlig einwandfreien Ape gleichen denen, die ein beliebiges anderes Fahrzeug macht, nachdem es von einem Schrottplatzarbeiter mit dem Bulldozer überrollt wurde. Dazu scheinen die Konstrukteure bei Piaggio das Konzept der Fahrzeugklimatisierung missverstanden zu haben. Denn im Innenraum einer Ape ist es im Sommer so heiß wie im Pizzaofen und im Winter so kalt wie in Berlusconis sozialem Gewissen.

Klingt, als sei eine solche Ape das perfekte Fahrzeug für einen ausgedehnten Roadtrip durch die Alpen. Finden Sie doch auch, oder?


 Was nach einer Idee klingt, die in jenem Rausch entstand, der von einer Mischung aus LSD und Zweitaktabgasen hervorgerufen wird, hat tatsächlich etwas für sich. Denn gerade die völlige Unzulänglichkeit und der Mangel an Komfort und Leistung macht die Ape zu einem wohltuenden Gegenpol zu unserer Welt mit ihrem Beschleunigungs- und Komfortwahn. Ganz weit abseits von weich gefilterten Fantasien über das südliche Land der Träume und des vermeintlich süßen Lebens. Die Alpen haben nämlich in den letzten hundert Jahren etwas verloren. Ich meine jetzt nicht die vom Klimawandel abgetauten Gletscher oder von Touristenhorden zertrampelten Bergwiesen. Ich meine vielmehr die unnahbare Majestät. Die Gipfel sind nicht mehr lebensgefährliche, tagelange und kräftezehrende Gewaltmärsche entfernt, sondern ein paar bequeme Autostunden. Vollständig von der störenden Umwelt abgekapselt, weich gepolstert und wohlig klimatisiert gleitet es sich in einem modernen Auto dahin. Bergstraßen, die heute eine ungeahnt gute Qualität haben, führen den alpinistisch geneigten Autofahrer hinauf zur Passhöhe. Eine Herausforderung ist das schon lange nicht mehr und angesichts der uralten Faszination der Berge wirkt es fast schon blasphemisch mit so wenig Mühe so hoch hinauf zu kommen. Wer Ape fährt begegnet den Bergen mit mehr Respekt.

Die scheinbaren Nachteile einer Ape werden hier zum Vorteil. Eine Ape ist schon auf der Ebene alles andere als schnell. Man nähert sich den Bergen also mit gemäßigter Geschwindigkeit. Man hat Zeit, die Felsmassen langsam über den Horizont steigen zu sehen und sich ihrer überwältigenden Präsenz bewusst zu werden. Der Aufstieg über eine Passstraße ist notgedrungen noch viel langsamer. Schritttempo und die Gefahr, von einem hochtrainierten Rennradfahrer überholt zu werden (bergauf!!!) sind auf wohltuende Weise erniedrigend. Sie rücken die Perspektive zurecht. Da draußen, jenseits der scheppernden Fenster und des klappernden Blechs sind die Berge. Majestätische, uralte Berge, die von den Gewalten der Tektonik vor Urzeiten aufgetürmt wurden. Menschen? Pah! Dinosaurier? Lächerliches Jungvolk! Die Berge sind ein winziges Stückchen Ewigkeit in einer zeitlichen Welt. Zeit ist nötig, um das zu verstehen und das heulende Kriechen einer Ape verschafft genau die. Im infernalischen Gebrüll des überlasteten Motors steckt die Melodie der Ewigkeit.

 

Hat man dann die Passhöhe erreicht, dann verspürt man eine seltsame Mischung von Gefühlen. Einen tiefen, freudigen Stolz darüber hier zu sein, es geschafft zu haben. In diesem Moment kann man nachfühlen, wie sich Edmund Hillary und Tenzing Norgay fühlten, als sie auf dem Everest standen. Gleichzeitig ist man von einem tiefen Staunen über die schiere Gewalt der Natur erfüllt und irgendwo im Hinterkopf meldet sich ganz leise ein Gefühl der Peinlichkeit, weil alle anderen Touristen hier oben einen höchst wahrscheinlich für einen entsprungenen Irren halten.

Nachdem Endorphinrausch und Ohrenklingeln abgeklungen sind, kann man sich dann auf den Weg zurück ins Tal machen. Dann kommt zum wirren Gefühlscocktail noch die Vorfreude dazu. Vorfreude auf den nächsten Pass, auf das nächste Mal perspektivisch zurechtgerückt werden. Zumindest wenn man die Abfahrt überlebt, denn die Bremsen einer Ape sind ähnlich rachitisch wie der Rest des Behelfsmobils.


 Es mag durchaus sein, dass das hier alles etwas übertrieben dargestellt ist. Aber, und diese Feststellung ist sicher nicht neu, etwas mehr Ruhe und weniger Tempo würden der heutigen Zeit sicher guttun. Es ist schon seltsam, aber bei genauer Betrachtung sind viele Fortschritte doch eher Rückschritte. Nichts ist unendlich, auch nicht der sinnvolle Bereich der immer weiteren Beschleunigung des Lebens.

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