Fahrzeugportrait: Wulfhorst R3

 

R3 (R4?) mit abgenommenen Seitenschürzen und ohne Ladeflächenplatte

Der Hersteller dieses Fahrzeugs, die Wulfhorst GmbH aus Gütersloh in Westfalen, ist seit 1915 als Hersteller von Dreiradfahrzeugen, zum überwiegenden Teil von dreirädrigen Fahrrädern zu Transportzwecken und für Menschen mit körperlicher Behinderung, aktiv. Das Modell R3 ist ein dreirädriger, motorisierter Krankenfahrstuhl auf Basis des Hercules Prima Mofas. Anders als bei den jüngeren Baureihen R7 und R10, die durch Umbauten aus Peugeot-Motorrollern entstanden, ist hier auch die Antriebstechnik anders als beim Basisfahrzeug.


Technische Unterschiede gegenüber dem Basisfahrzeug
Die Hercules-Mofas der Prima-Serie wurden ausnahmslos von Motoren der Typen Sachs 505 (Schaltgetriebe) bzw. 504 (Automatikgetriebe) angetrieben. Diese Motoren sind vergleichsweise modern konstuierte, fahrtwindgekühlte Zweitaktmotoren mit liegendem Zylinder. Abweichend davon wurde der Wulfhorst R3 mit einem konstruktiv erheblich älteren Motor des Typs Sachs 50/Amal X der Typvariante Ausführung Z versehen. Hierbei handelt es sich um einen gebläsegekühlten Zweitaktmotor mit stehendem Zylinder und Zweigang-Automatikgetriebe. Diese Motorvariante war seitens der Herstellers primär zur Verwendung in Krankenfahrstühlen vorgesehen. Der Motor ist leicht nach links versetzt im Rahmen aufgehängt, was zur untypischen Anordnung des Auspuffs in der Mitte des Fahrzeugs führt. Da Boden- und Schräglagenfreiheit bei einem Dreirad nur eine untergeordnete Rolle spielen, ist dies hier problemlos möglich.

Gegenüber der Primabaureihe, die stets per Pedal oder Kickstarter angelassen wurde, vefügt der Motor des R3 über einen (als Dynastarter ausgeführten) elektrischen Anlasser. Zu diesem Zweck hat er eine 9ah Batterie im Rahmenheck. Anders als bei der Prima beträgt die Bordspannung des R3 12V.

Um eine kleine Ladefläche aus einer Siebdruckplatte zwischen den Hinterrädern zu ermöglichen, wurde der Rahmen gegenüber der Prima gekürzt. Die beiden Ausleger, die beim Serienmofa den Gepäckträger aufnehmen, fehlen hier. 
Die abgebildete Anhängerkupplung ist nicht serienmäßig, die Position bietet sich jedoch zur Montage einer solchen an.

Antrieb und Fahrwerk
Der Rahmen der Prima wurde, abgesehen von der gekürzten Gepäckträgeraufnahme, unverändert übernommen. Die Gabel ist eine simple, aber ausreichend gute Telegabel, die Hinterachse wird in einer von zwei Federbeinen geführten Schwinge geführt. Die Hinterachse ist die, für Wulfhorst-Fahrzeuge typische, Konstruktion mit einem Peerless-Differential.  Zusätzlich verfügt die Hinterachse über eine hydraulische Scheibenbremse, die auf die Achswelle wirkt und somit beide Hinterräder bremst. Der Betätigungshebel für diese Scheibenbremse sitzt, untypisch für motorisierte Zweiräder, rechts am Lenker. Der links angebrachte Hebel bremst die serienmäßige Trommelbremse am Vorderrad.


Anders als bei den jüngeren Rollerumbauten, wird die Antriebskette nicht durch verschieben der Hinterachse gespannt. Vielmehr wird die (linksseitige) Antriebskette durch einen mechanischen Federspanner auf Spannung gehalten. Gleiches gilt für die Tretkette. 
Der Motor des Wulfhorst R3 ist, wie bereits beschrieben, eine relativ exotische Variante des bekannten Sachs 50. Die Ausführung Z des Sachs 50/Amal X ist eine für Krankenfahrstühle vorgesehene Variante mit 12V Dynastarter und Automatikgetriebe.
Die Betriebserlaubnis gibt die Leistung des Motors mit 2kW bei 5.000upm an. Die Höchstgeschwindigkeit des Fahrzeugs liegt bei 25km/h. 
Durch die Gebläsekühlung ist dieser Motor den höheren Belastungen und niedrigen Geschwindigkeiten eines dreirädrigen Krankenfahrstuhls gut angepasst. Er ist eine logische Wahl, auch weil der Elektrostarter den Bedienkomfort erheblich erhöht.

Bedienelemente
Die Bedienelemente des R3 ähneln bzw. entsprechen teilweise denen der Hercules Prima Mofas, sie weisen jedoch einige spezifische Änderungen auf. Daher seien sie in nachfolgendem Bild gekennzeichnet. Bemerkenswert ist vor allem, dass die Bremshebel, im Vergleich zur üblichen Anordnung an motorisierten Zweirädern mit Automatikgetriebe, vertauscht sind.

1 = Bremshebel für die Trommelbremse im Vorderrad
2 = Anlasserknopf
3 = Chokehebel
4 = Tachometer mit Kilometerzähler
5 = Anwerfkupplung für Pedalstart
6 = Bremshebel für die hydraulische Scheibenbremse der Hinterachse
7 = Gasdrehgriff
8 = Zündschloss (drei Stellungen: links aus, mitte Zündung an, rechts Licht an)
9 = Tankdeckel
Das Lenkerschloss (Diebstahlsicherung) befindet sich, wie beim Basisfahrzeug, links am Rahmenkopf unterhalb der Gabelbrücke.

Grundsätzlich kann der Motor durch den Elektrostarter oder durch anpedalieren gestartet werden. Die Achskonstruktion sowie das relativ hohe Gewicht des Fahrzeugs machen dies jedoch mühsam. Die Pedale sind daher in der Praxis eher als Fußrasten zu verstehen.

Varianten und andere Bezeichnungen
Da der R3, wie alle Wulfhorst-Umbauten, in einzelteiliger Manufakturfertigung entstand, ist praktisch jedes Fahrzeug ein Unikat. So entstanden zum Beispiel R3 mit und ohne Blinker.

Die Fotos zeigen einen R3 (R4?) mit Blinkern vorne an den Lampenhaltern und hinten unter der Ladefläche.

Einige Modelle tragen zudem die Typenbezeichnung R4 auf dem Fabrikschild. Dies ist insofern bemerkenswert, als Wulfhorst diese Modellbezeichnung normalerweise für eine motorisierte Variante eines Dreiradfahrrades (Reha-Bike mit Saxsonette-Motor) verwendete.


Fazit
Genau wie die jüngeren Rollerumbauten ist auch der R3 ein faszinierender Sonderling. Durch seine besondere Technik ist er zudem auch ein faszinierendes Betrachtungsobjekt für Technikfreunde. Natürlich ist er aber vor allem ein Sonderfahrzeug, dessen Daseinszweck darin besteht, Menschen mit körperlicher Behinderung das Leben zu erleichtern. Dieser Aufgabe ist er auch heute, gut 30 Jahre nach seiner Konstruktion, noch immer gewachsen. Als Krankenfahrstuhl darf er, mit Schrittempo, auch auf Gehwegen und in Fußgängerzonen gefahren werden und seine im Kern auf solider Großserie basierende Technik macht ihn zu einem zuverlässigen Arbeitsgerät. Sein hoher Neupreis und die bis heute hohen Marktpreise sowie die geringen Produktionszahlen machen ihn zu einem seltenen Anblick im Straßenverkehr, weshalb er aber natürlich auch für Oldtimersammler und Mopedfreunde interessant ist.



Vielen Dank an Thomas Mack für die Fotos seines grünen R3 sowie die Information, dass es das Fahrzeug auch mit Blinkern und der Bezeichnung R4 gab.






Kommentare