Donnerstag, 5. Oktober 2017

Fahrzeugportrait: Piaggio NRG C16 (Urmodell)

Auch wenn es jenen Zeitgenossen, die nur wirklich altem Material diesen Titel zugestehen möchten sauer aufstößt, es gibt auch unter den modernen Automatikrollern der 1990er Jahre echte Klassiker. Ein solcher ist zweifellos der Piaggio NRG der ersten Serie. Als einer der Begründer der Fahrzeugklasse der sportlichen Fuffiroller mit Wasserkühlung war er seinerzeit einer der großen Stars in der, meist jugendlichen, Rollerszene. Basierend auf dem für seine Robustheit bekannten TPH, jedoch aufgewertet mit sportlicher Optik und einem tuningfreundlichen, wassergekühlten Zweitaktmotor zählte er zu den großen Träumen der Jugend dieser Epoche.Heute sind die Fahrzeuge selten geworden, ein Grund mehr sich ihnen an dieser Stelle zu widmen.

Grundsätzliches zum NRG
Unter dem schicken Sportkleid des von 1994 bis 1996 gebauten Sportlers steckt im Wesentlichen bekannte Technik. Der Rahmen und das Fahrwerk sind mit denen des TPH identisch, lediglich die größeren Räder (13 statt 10 Zoll) mit modernen Reifen der Dimenson 130/60-13 weichen von der Basis ab. Zwar gab es in einigen Märkten auch NRG mit den 10"-Balonreifen des TPH, doch sind diese Modelle in Deutschland so selten, dass sie hier zu vernachlässigen sind.

Der optisch auffälligste Unterschied zwischen TPH und NRG ist die Frontmaske. Statt des "Schnabels" mit hoch liegendem Einzelscheinwerfer hat der NRG eine moderner gestaltete, sportlich knappe Nase mit zwei Linsenscheinwerfern. Deren Lichtausbeute ist zwar noch schlechter als die von TPHs Zyklopenauge, aber für die sportliche Hatz zur Disco reichte es in den 90ern allemal. Die unlackierten Innenteile von Trittbrett und Beinschild sowie die Tachoverkleidung sind beim NRG aus rot durchgefärbtem Kunststoff. Der Kühlergrill sowie der serienmäßige Gepäckträger leuchten ebenfalls in dieser Signalfarbe. 
Auf technischer Seite unterscheiden sich TPH und NRG vor allem durch das Kühlverfahren. Der NRG nutzt das Flüssigkeitskühlsystem, das Piaggio einige Zeit vorher im Sferaderivat Quartz vorstellte. Dem entsprechend verfügt der Tacho des NRG über eine Warnleuchte für die Kühlwassertemperatur.

verlebtes Alltagsexemplar mit Zubehörrücklicht und -blinkern sowie verblichener, einst strahlend roter Innenverkleidung
Motor und Antrieb
Der Motor des NRG ist der bekannte Piaggio-Zweitakt-Automatikmotor der ersten Generation, Type B4-lang, also die wassergekühlte Version. Die Leistung beträgt je nach Markt ca. 4,5PS bei 6.000upm, die Höchstgeschwindigkeit war in Deutschland auf 50km/h begrenzt. 
Dies wirkt unspektakulär, jedoch rennt der NRG im entdrosselten Zustand regelrecht davon. Egal ob nur entdrosselt oder mit einem Sportauspuff mild frisiert, er war immer zu schnell und stark für sein eher rustikales Fahrwerk. Ein Umstand der zur Legendenbildung beitrug und auch einen Großteil des Fahrspaß mit diesem Fahrzeug erklärt. 

Der Tacho ähnelt dem des TPH, hat jedoch zusätzlich eine Warnleuchte für die Wassertemperatur.

Fahrwerk und Bremsen
Wie bereits erwähnt gleicht das Fahrwerk des NRG dem des TPH. Die frühen NRG haben sowohl die kurzlebige Primitivgabel als auch das holzige Federbein des Basismodells geerbt. Entsprechend derb ist das Fahrverhalten, auch weil die flacheren Dreizehnzöller weniger Eigendämpfung bieten als die dicken Balonreifen des TPH. 
Die Bremsen, eine ausreichende Trommel hinten und eine wirksame aber schlecht dosierbare Scheibe vorne, sind für einen Fuffiroller der 90er-Jahre gut, nach heutigen Maßstäben aber allerhöchstens Mittelmaß. Dem sportlichen Anspruch des NRG werden sie nicht gerecht, unmittelbare Konkurrenten wie Speedfight 1 oder SR50 konnten dies bereits damals besser. 

Fahrverhalten und Charakter
Die Kombination aus gutem Motor und schlechtem Fahrwerk war schon immer ein Garant für Fahrspaß der besonderen Art. Der NRG ist genau die Art von Roller, die einem Anfänger schnell gefährlich werden können. Zwar sind Geradeauslauf und Spurtreue besser als beim TPH, was einfach der moderneren Bereifung geschuldet ist, dennoch ist er im Grenzbereich tückisch und schwer zu beherrschen. Moderat gefahren fällt dies nicht ins Gewicht, jedoch wurde der NRG von den jugendlichen Fans oft frisiert und entsprechend bewegt. Hierin liegt zum Teil die heutige Seltenheit guter Exemplar begründet. Unfallfreie NRG der ersten Serie existieren fast nicht. 
der NRG im Alltag und aus heutiger Sicht
Der Alltagsnutzen des NRG ist grundsätzlich gut. Er hat ein großes Helmfach und bietet die Möglichkeit einen großen und stabilen Gepäckträger zu montieren. Die für den TPH optimal erhältlichen Handschuhfach- bzw. Gepäckkorblösungen für das Beinschild passen auch beim NRG, jedoch wird all dies dem Charakter des Fahrzeugs nicht gerecht. Die wenigsten NRG wurden und werden des alltäglichen Nutzens wegen gekauft.
Die robuste Bauweise führt zu einer sehr guten Zuverlässigkeit. Ein halbwegs gewarteter NRG ist ein über viele Jahre und in jeder Situation zuverlässiger Roller. Da er technisch auf massenhaft gebauter Großserie aufbaut sind auch die meisten Ersatzteile günstig, was dazu beiträgt die Unterhaltskosten niedrig zu halten.

All dies ist heute jedoch zweitranging. Die Benutzungsgewohnheiten der oft jugendlichen Vorbesitzer haben die relativ wenigen verkauften Fahrzeuge selten werden lassen. Viele waren es ohnehin nie, der Neupreis von ca. 4.500 Mark schob dem einen Riegel vor. Oft war ein günstigerer TPH mit nachträglich implantierter NRG-Frontmaske der den Traum vom Sportroller erfüllen musste. Heute gibt es fast nur noch zwei Arten von NRG. Zum Einen über die Jahre gebrachte, oft umgebaute und verbastelte Alltagsroller die deutlich die Spuren der Zeit und der sparsamen Wartung zeigen, zum Anderen gepflegte Liebhaberexemplare, Schönwetterfahrzeuge und teils bereits restaurierte Fahrzeuge. Über 20 Jahre nach der Markteinführung erfüllen sich heute manche Fans den Traum von damals und bauen einen verlebten NRG mit wirtschaftlich eigentlich nicht sinnvollem Aufwand neu auf.




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