Sonntag, 1. Dezember 2024

1. Advent, Gedanken zu Weihnachten

Heute ist der 1. Advent, der Tag, an dem die Weihnachtszeit beginnt. Ein guter Anlass, einmal ein wenig über das Thema Weihnachten nachzudenken. 

Der nachfolgende Text ist bereits ein paar Jahre alt. Er erschien im Dezember 2021 schon einmal. Er ist aber noch immer aktuell, darum veröffentliche ich ihn hier - in frisch überarbeiteter Form - einfach noch einmal.


Gedanken zu Weihnachten

Gedanken zu Weihnachten? Echt jetzt? Das wird doch sicher wieder eine der üblichen Meckertriaden. Hier der böse Kommerz, da die oberflächliche Pseudofreude. Immer die gleiche olle Leier, alle Jahre wieder.

Ich gebe zu, im ersten Entwurf wäre es fast in diese Richtung abgebogen. Allerdings bin ich mir sicher, dass Sie werte Leserinnen und Leser davon die Nase genauso gestrichen voll haben wie ich. Außerdem – und dies war zweifellos der größte Einfluss in der Genese dieses Textes – hat sich irgendwann ein mir sehr eng verbundener Mensch hinter mich gestellt und mitgelesen, was da so auf dem Computerbildschirm dabei war Gestalt anzunehmen. Ihr Kopfschütteln konnte ich nicht sehen, aber spüren. Außerdem hörte ich die Worte: „Du alte Meckerziege! Denk Dir doch was Neues aus.“ Als sie wegging.

Darum habe ich diesen ersten Entwurf dem ewigen elektronischen Vergessen übergeben und noch mal neu angefangen. Mal abgesehen davon, dass diese Form der Konsumkritik oft sehr aufgesetzt wirkt. In aller Öffentlichkeit heftig wettern und dann heimlich still und leise - hoffentlich merkt es keiner – losziehen und im glühweinseligen vorweihnachtlichen Shoppingtrubel untertauchen. Igitt! Das ist im Grunde genauso pervers daneben wie der Weihnachtsmann im Puff. Lassen wir das also einfach sein, wünschen dem Rotmantelträger viel Spaß und befassen uns mit etwas anderem.

 

Viel interessanter ist es doch, sich Weihnachten einmal unter einem anderen Gesichtspunkt anzusehen. Abgesehen von tieferen religiösen oder gesellschaftlichen Sinnen ist Weihnachten ja auch ein Spiegel der Menschheit. Rekordumsätze sind ebenso Teil des menschlichen Komplexes wie Selbstreflexion und der Wunsch nach Harmonie und Besinnlichkeit oder steigende Selbstmordzahlen. Wobei Letzteres ein unhaltbares Klischee ist, denn wissenschaftlich ist tatsächlich kein Zusammenhang zwischen Weihnachten und Suiziden feststellbar 1 ganz im Gegenteil scheint es sogar so, dass die absolute Zahl der Selbstmorde um Weihnachten herum eher sinkt. Es ist wohl einfach so, dass zu dieser Jahreszeit in den Medien häufiger über Suizide berichtet wird und diese darum mehr ins Bewusstsein der Menschen rücken.

Weihnachten ist in der europäisch-westlichen Kultur mit einer bestimmten Erwartungshaltung verbunden. Weiße Weihnachten mit dem Riesenchristbaum vorm Rockefeller Center in New York City, leuchtende Kinderaugen und oh-du-fröhliches Familienglück. Dazu im genau rechten Maße, die Tröstungen der Religion und der Zauber uralter Mysterien. Meinen herzlichen Glückwunsch an die Coca-Cola-Company, Hollywood und den Vatikan: Ihr habt es geschafft! Eure jeweiligen Idealbilder sind tief im kollektiven Bewusstsein eines Gutteils der Menschheit verwurzelt. Es ist eine echte Leistung, solche Dinge nachhaltig in zig Milliarden Schädel zu hämmern.

Es geht aber auch anders. In Australien sitzen am Heiligen Abend sicher irgendwo ein paar Jugendliche mit Grill und Gettoblaster am Strand und feiern auf eine für uns Europäer sehr unweihnachtliche Art Weihnachten. Gut möglich, dass einen der Hai erwischt, wenn man sich kurz abkühlen will, aber das gehört auch dazu. Andernorts werden Leute angeblich im Krankenhaus eingeliefert, weil sie sich an Großmutters Truthahnbraten überfressen haben, ein gewisses Restrisiko scheint also in der Natur der Sache zu liegen.

Derweil geht irgendwo in Russland jemand zur Arbeit. Weihnachten ist weit weg, erst in ein paar Wochen im Januar. Natürlich sind das alles nur Varianten des bekannten Themas. Weihnachten ist Weihnachten, denn auch in Australien rennen die Leute in waren Horden in die Geschäfte und das in Russland die Weihnachtslieder ein paar Wochen später gesungen werden, ändert letztlich auch nichts. Jingle Bells gibt es auch in einer russischen Version. звон колоколов für die ganz Neugierigen. Und fragen Sie mich ja nicht, wie man das ausspricht.

Außerdem, das wird gerne vergessen, gibt es Orte, an denen Weihnachten gar nicht gefeiert wird. Ob das nun an der vorherrschenden Kultur oder Religion liegt oder an einem politischen System, das derartigen Bräuchen feindlich gesonnen ist, spielt dabei erst einmal eine untergeordnete Rolle. Seien Sie ehrlich: Können Sie sich ein Jahr ohne Weihnachten vorstellen? Egal wie sie zu den Weihnachtsbräuchen und Gepflogenheiten hierzulande stehen, ganz ohne Weihnachten ist es eigentlich nicht vorstellbar. Dabei ist genau das für sehr viele Menschen Realität. Sehr wahrscheinlich wissen sie von der Existenz des Weihnachtsfestes, sowohl in seiner religiösen wie in seiner weltlichen Form. So ist ja auch den meisten Menschen bekannt, dass es den Ramadan oder Jom Kippur gibt, auch wenn sie sich weder dem muslimischen noch dem jüdischen Glauben zurechnen. Nun sind uns auch im Westen Islam und Judaismus relativ nahe, aber auch von – aus europäischer Sicht – eher exotischen Festen wie dem Diwali, dem hinduistischen Lichterfest, hat man schon mal gehört. Wirklich relevant ist es für das persönliche Leben nicht. Einmal zu versuchen, Weihnachten aus dem Blickwinkel eines Außenstehenden zu betrachten, kann sehr aufschlussreich sein.

 

Bitte nicht falsch verstehen, nichts davon erhebt irgendeinen Anspruch auf abschließende Richtigkeit und Vollständigkeit. Wie auch das ist bei einem solchen Thema im Grunde völlig unmöglich. Ob Sie nun also Weihnachten feiern oder nicht, und wenn Sie es tun wie das spielt eigentlich keine Rolle. Dennoch sei allen Leserinnen und Lesern hier eine gute, wenn möglich friedvolle und - mehr geht eigentlich nicht mehr – frohe Zeit gewünscht. Ob nun mit oder ohne Weihnachtsbaum, denn eigentlich geht es doch darum, dass man friedlich und freundlich mit dem rechten Maß an Herzenswärme miteinander umgeht. Nicht nur an ein paar willkürlich festgelegten Tagen im Dezember, sondern auch im Rest des Jahres.

 

 

© Text: Markus Zinnecker, 2021 (überarbeitet 2024)

Quellen:

1 https://correctiv.org/faktencheck/2023/12/12/weihnachten-geruecht-im-dezember-steigt-die-zahl-der-suizide-nicht-an/

 

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