Fahrzeugporträt: Yamaha XC125 Cygnus (4NB)

Hinweis: Zu diesem Fahrzeug gibt es ein Porträtvideo auf dem Youtube-Kanal. Dieses findet ihr hier:
https://youtu.be/zj8lKdvHQOs?feature=shared

Man sagt den Japanern nach, dass sie keine halben Sachen machen würden und dass sie ziemlich gut darin seien, Qualitätsarbeit abzuliefern. Diese Behauptung kann man mal als „irgendwie kommt es schon hin“ stehen lassen, auch wenn derartige Klischees ja immer gefährlich sind. Auch in diesem Fall? Tatsächlich gelten Produkte aus dem Land der aufgehenden Sonne ja als sehr hochwertig. Gilt das auch dann, wenn sich einer der größten japanischen Motorradbauer daran macht, einen Roller zu bauen, der vor allem eines sein soll: Erzsolide und billig?

Dies ist die Ausgangslage, die zu dem Fahrzeug führte, um das es hier gehen soll. Um den Yamaha XC125 Cygnus der Generation 4NB. Also die Modellgeneration der späten 1990er Jahre.



 Grundlegendes

Der Cygnus ist eine der langlebigsten Baureihen moderner Roller überhaupt. Seine erste Inkarnation datiert bis zurück in die frühen 1980er Jahre, damals freilich noch unter dem Namen Beluga. Eine Bezeichnung, die in einigen Märkten auch den späteren Varianten gegeben wurde. Darum ist es im Zweifelsfall sicherer, sich auf die offizielle Nomenklatur zu verlassen.

Die Baureihen, um die es hier gehen soll, von Yamaha intern als 4NB bezeichnet, wurden als XC125T und XC125TR geführt. Wobei T die ältere Version mit hochliegendem Scheinwerfer bezeichnet. Die Ausführung TR stellt ein mildes Facelift mit geänderter Frontverkleidung dar.

Die grundsätzliche Auslegung des Cygnus ist die eines klassischen Stadtrollers. Kleine 10-Zoll-Räder und ein konventioneller Aufbau mit freiem Durchstieg und breitem Trittbrett kennzeichnen das Fahrzeug. In dieser Auslegung sind auch die kompakten Maße und die relativ geringe Sitzhöhe (ca. 77 cm) des Cygnus begründet. Dennoch bietet er ausreichend Platz für europäische Sitzriesen, zumindest im Solobetrieb. Fahrten mit Sozius sollten eher kurz ausfallen.

 

Technik

Aus technischer Sicht bietet der Cygnus solide Hausmannskost, dies allerdings auf sehr hohem Niveau. Alle Bauteile des Rollers sind massiv und hochwertig ausgeführt. Die sehr großen, robusten und auch mit dicken Handschuhen gut bedienbaren Schalter fallen ebenso ins Auge wie die – für einen relativ kleinen Motorroller – geradezu gewaltigen Spiegel mit M10-Gewinden. Typisch Yamaha: Der rechte Spiegel wird über ein linksdrehendes Gewinde montiert und ist somit zusätzlich gegen Bruch geschützt.

Der Motor des Cygnus ist als konventionelle Treibsatzschwinge ausgeführt. Die Anordnung entspricht dem, was zu seiner Zeit üblich war. Also Auspuff rechts und Variomatikantrieb links. Zu jener Zeit nicht selbstverständlich war die zusätzliche Hinterradführung durch eine Hilfsstrebe mit zweitem Federbein auf der rechten Seite. Dies verkompliziert ggf. den Ausbau des Hinterrades, erhöht aber die Steifigkeit der Antriebseinheit und kommt somit dem Fahrverhalten auf schlechten Wegen zugute.

Der Motor selbst ist das, was man einen kaltblütigen Bauernmotor nennen könnte. Ein in allen Komponenten mehrfach überdimensionierter Viertakt-Einzylinder in klassischer OHC-Bauweise mit zwei Ventilen. Der Vergaser mit elektrothermischer Kaltstartautomatik und Beschleunigerpumpe ist sehr gut einstellbar und sorgt für zuverlässiges Startverhalten unter allen Bedingungen. Für einen Leichtkraftradantrieb jener Tage geradezu gigantisch ist der Ölinhalt: 1,2 Liter 20W40 (Sommeröl, bei Winterbetrieb 10W30) fließen durch die Ölpumpe. Als Besonderheit zu jener Zeit kann der echte Ölfilter angesehen werden, auch wenn es sich lediglich um einen Nebenstromfilter handelt.

Der große Ölinhalt sorgt neben guter Schmierung auch für zusätzliche Kühlung des Motors, dessen Kühlung primär durch ein Zwangsgebläse erledigt wird. Dies ist einer von vielen Gründen für die bekannt hohe Lebensdauer dieser Motoren. Laufleistungen von über 100.000 km sind, regelmäßige Wartung und sinnige Behandlung vorausgesetzt, eher die Regel als die Ausnahme. Dazu tragen auch die relativ geringe Verdichtung von 10:1 sowie der vergleichsweise niedrige Kompressionsdruck (8,8bar) bei. Natürlich sind dies Werte, die bei Viertakt-125ern als üblich gelten dürfen, allerdings treffen sie bei kaum einem Motor auf derartig großzügig dimensionierte Bauteile.

Antriebsseitig findet sich der klassentypische CVT-Antrieb, also die übliche Keilriemenautomatik. Diese reicht die überschaubare Leistung an das Hintere der beiden 10-Zoll-Räder durch (Reifendimension 3,50-10). Die kleinen Räder in Kombination mit dem sehr weichen Vollschwingenfahrwerk sorgen für das übliche, leicht ungewisse und etwas kippelige Fahrverhalten derartiger Roller. Sportliche Ambitionen sind einem solchen Roller sowieso fremd und so kommt auf dem dick gepolsterten Sitz eher Cruiserfeeling auf. Auch wenn statt der Route 66 wohl eher der tägliche Weg ins Büro oder zum Supermarkt das Revier der meisten Cygnus sein dürfte.

 

Nutzwert und Alltagstauglichkeit

Die Ausstattung des Cygnus lässt sich grob mit: „Nur das unbedingt Notwendige.“, zusammenfassen. Luxusdetails wie eine Zeituhr sucht man vergeblich. Dafür gibt es solide und gut einstellbare Spiegel sowie scheinbar überdimensionierte Schalter. Diese lassen sich jedoch auch mit dicken Winterhandschuhen oder notfalls gar Fäustlingen bedienen und sind außerdem von hervorragender Qualität. Zudem wurde der Cygnus stets mit einem robusten, aber leider nicht selbst einklappenden (dafür aber mit einem Killschalter versehenen) Seitenständer ausgeliefert. Ebenso war der robuste und gut integrierte Gepäckträger stets Teil der Serienausstattung.

 

Unter der Sitzbank verbirgt sich ein großes, mit Filzteppich ausgeschlagenes Helmfach und die Frontverkleidung beinhaltet ein tiefes und absperrbares Handschuhfach. Zudem bietet ein Taschenhaken im Beinraum zusätzliche Mitnahmemöglichkeiten. Die seitliche Anbringung des Tankstutzens sorgt zudem für guten Zugang und einfaches Betanken.




 

Windschilder, Topcases, Sturzbügel und anderes Zubehör wurden sowohl von Yamaha als auch von Zubehörherstellern angeboten, aber nur selten geordert.

 

Besonderheiten

Aus heutiger Sicht wirkt der Cygnus arg primitiv, ein Umstand, der durch die altertümliche Technik des Fahrzeugs noch unterstützt wird. So verzögert er, für einen 125er seiner Zeit ungewöhnlich, mittels Trommelbremsen an beiden Rädern. Diese sind jedoch gut dosierbar und hinreichend wirksam. Ein Relikt der Rollersteinzeit scheint auch die Vorderradführung zu sein. Hier wollen noch etliche Schmiernippel im Rahmen der Routinewartung versorgt werden. Ein Umstand, der gerne übersehen wird und zu Problemen führen kann.

Eine Falle, die Schraubernovizen am Cygnus eine ölige Überraschung bescheren kann, ist das Schauglas für den Ölstand. Dieses ist in den Antriebsdeckel integriert, was dazu führt, dass ein Ölkanal durch diesen führt. Um den Antriebsdeckel abnehmen zu können, muss darum zunächst das Motoröl abgelassen werden.

 

Fazit

Der Yamaha Cygnus (bzw. der baugleiche MBK Forte) der Generation 4NB, egal ob als XC125T (Scheinwerfer im Lenker) oder XC125TR (tief liegender Scheinwerfer) ist ein solider und extrem zuverlässiger sowie langlebiger Gebrauchsroller ohne besondere Finesse. Zu seiner Zeit war er zweifellos eines der besten Fahrzeuge seiner Art und er kann bis heute in der ihm eigenen Rolle als unaufgeregter Alltagsbegleiter sehr gute Dienste leisten.

Wer einen solchen Roller in sein Leben lässt, muss aber mit den aus heutiger Sicht eher bescheidenen Fahrleistungen und der anachronistischen Technik klarkommen können. Bei guter Pflege belohnt der Cygnus dieses Verständnis aber mit hoher Zuverlässigkeit und geringem Verbrauch.

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